Nach kurzem Zögern zum Königsschuss
Gescher – Als Matthias Kröger an der Harwicker Stange nach 450 Schuss Munition noch mal Nachschub geholt hat, zögert Bernd Lucahsen einen Moment. Doch nicht etwa, weil ihn im finalen Rennen gegen seine fünf Mitbewerber um die Königswürde der Mut verließe. In der Anspannung glaubt der Fahnenoffizier, als Letzter vor der Schießpause am Zug gewesen zu sein und will der Fairness halber Thomas Lewerich den Vortritt lassen. Der aber winkt richtigerweise ab, und als auch die Menge „Bufka“ überzeugt, schreitet der 43-Jährige zur Tat, schießt und holt das zähe Federvieh mit dem 451. Schuss um 14.17 Uhr von der Stange. Jubelrufe gehen durch die Menge, Freudentränen fließen – Emotionen pur am Montagnachmittag. „Seit 16 Jahren hab’ ich darauf tierisch gehofft“, strahlt die neue Harwicker Majestät. Von Florian Schütte
Um 12 Uhr ist es brechend voll an der Stange. 364 Schützen sind zuvor morgens angetreten, um bei bestem Wetter dorthin zu marschieren. Thomas Kersting, Vorsitzender der St.-Ludgerus-Schützengilde, will keine großen Worte schwingen. Kann er nach den Feierlichkeiten vom Wochenende auch gar nicht. „Thomas, wo ist denn deine Stimme geblieben?“, fragt ihn Hubert Damer. „Meine Stimme gebe ich dem Schützenverein“, kontert Kersting lachend. Wetter und Festablauf seien bislang super gewesen. Und dass nun gleich sechs Anwärter ihre Ambitionen auf den Thron angemeldet haben, sei ebenfalls klasse. Vorher hat der Vorsitzende schon Alfred Koller für seine 70-jährige Mitgliedschaft im Verein geehrt. Für Koller, der 1988 selbst König war, ist die lange Treue auch Ehrensache: „Ich wohne ja in der Harwicker Gemeinschaft“, sagt er. Etwas weiter lassen es sich Kalle Thiery und seine Männer vom Frühstücksclub Harwick bei ein paar Bierchen in der Sonne gut gehen. „Seit 2007 gehen wir statt zur Messe immer bei Grimmelt frühstücken“, erklärt Thiery und lacht.
Gegen 13 Uhr beginnt dann die heiße Phase. Neben „Bufka“ Lucahsen geben sich René Francescon und Thomas Lewerich, Thomas Heming und Roland Ahlert sowie Georg Beeke die Flinte in die Hand. Doch der Vogel erweist sich als besonders widerspenstig. „Das ist Fichte-Tanne. Das passt eigentlich immer ganz gut“, sagt Matthias Kröger, der seit rund 20 Jahren den Vogel baut – sich aber nun schon scherzhaft dem Vorwurf ausgesetzt sieht, Eichenholz verwendet zu haben. Dann muss er doch noch mal los, Munition holen – für den einen besagten Schuss, den Werner Kersting zuvor schon Lucahsen prophezeit hat.
Zur Königin nimmt der zweifache Familienvater Heide Beeke. Das Besondere: Ihr Vater Bernhard Terwei feiert dieses Jahr sein silbernes Thronjubiläum. Holger Beeke und Judith Lucahsen sowie Dietmar und Antje Musholt komplettieren den Thron. „Da gehen mir langsam die Offiziere aus“, schmunzelt Oberst Martin Koppers mit Blick auf Lucahsen, Beeke und Musholt.
Die Gratulantenschar reicht über den halben Festplatz. Sohn Yannick, mit seinen 16 Jahren selbst gerade Harwicker Schütze, freut sich als einziger noch mehr über den Erfolg des Papas als dieser selbst und heult Rotz und Wasser – emotionaler Auftakt für einen rauschenden Königsball.
AZ-Bericht vom 06.06.2023